Gold aus dem Mund
„Wollen Sie spenden?“ Diese Frage kann Sie treffen, wenn Sie sich Goldfüllungen entfernen lassen wollen. Zahnärzte sammeln das Edelmetall für soziale und kulturelle Projekte.
VON PETRA MIES
Sabine Friese ist eine routinierte Zahnärztin. Schon seit drei Jahrzehnten behandelt sie Patienten. Wer in ihrer Praxis in Stadtallendorf eine Goldfüllung entfernt bekommt, den erwartet eine ungewöhnliche Frage: „Wollen Sie spenden?“ Schon vor mehr als zwei Dekaden nämlich initiierte die Dentistin eine Goldsammelaktion, an der sich mittlerweile 61 Zahnarztpraxen in Marburg und Marburg-Land beteiligen. Bisheriger Gesamterlös der Aktionen, bei denen die Ärzte ausgedienten Metall-, aber vorwiegend Goldzahnersatz sammeln und alle zwei Jahre zum Einschmelzen bringen: weit mehr als eine halbe Million Euro.
Altes Zahngold für soziale und kulturelle Projekte zu sammeln, ist aber bei immer mehr Zahnärzten in ganz Hessen ein hochaktuelles Thema. Der Wert des Edelmetalls steigt und steigt in den krisengeschüttelten Tagen, da lässt sich mit dem Verkauf des von Patienten überlassenen Zahngoldes einiges Geld einbringen und auch bewirken. So wollen etwa Dentisten in Neuhof bei Fulda eine dortige Kirchenrenovierung unterstützen. In Niedernhausen wiederum sammelt eine Ärztin das Gold für ein Waisenhaus in Nepal und eine Tafel für Bedürftige in Wiesbaden.
Die Landeszahnärztekammer Hessen mit Sitz in Frankfurt begrüßt die Initiativen. „Die meisten von ihnen sind privat, aber beispielsweise in Kassel und Umgebung hat sich sogar ein eingetragener Verein gegründet“, sagt Sprecherin Annette Borngräber. Der Erlös der Sammelbüchsen, die der „Förderverein Zahnärzte und Patienten helfen Kindern in Not“ in 200 Praxen ausgestellt hat, dient beispielsweise Straßenkindern, der Prävention an Schulen, Behinderteneinrichtungen und Einzelschicksalen.
Zahn um Zahn
Als Füll- oder Ersatzmaterial für defekte oder fehlende Zähne dient Gold in der Zahnheilkunde. Aus ästhetischen Gründen und wegen der stark steigenden Goldpreise wünschen sich aber immer mehr Patienten weiße Füllungen, etwa aus Keramik. Ein Zahn-Inlay aus dem Edelmetall wiegt zwischen zwei und zweieinhalb Gramm. Bei Kosten von 35 bis 40 Euro pro Gramm einer hoch goldhaltigen Legierung beträgt der reine Materialwert pro Füllung im Schnitt zwischen 70 und 100 Euro. Plus der Labor- und Behandlungskosten macht das 500 bis 600 Euro pro Zahneinlage.
Das Gold im Mund beziehungsweise frühere Gold im Mund für Gutes hat bisher keinerlei Beschwerden bei der Zahnärztekammer verursacht. Annette Borngräber: „Auf keinen Fall, bei den mir bekannten Initiativen dieser Art geht das absolut seriös zu, da steckt auch viel ehrenamtliches Engagement drin. Außerdem werden die Leute ja gefragt, ob sie das Zahngold spenden oder lieber mitnehmen möchten.“
Die güldenen Füllungen lassen sich nämlich auch zu privater Kasse machen. So wirbt mancher Juwelier in seiner Auslage dafür, der Kundschaft nicht nur Ketten und Ringe aus dem Edelmetall abzukaufen, sondern auch Alt- und Zahngold. Ein Frankfurter Leihhaus beispielsweise nimmt es derzeit für zwölf Euro pro Gramm in Zahlung. Tageskurs, Reinheit und Gewicht bestimmen den Preis.
Wenn sich Sabine Friese über die steigenden Goldpreise freut, dann allerdings nur mit einem Gedanken – den an die Begünstigten. Ob Kinderklinik, Wohnprojekt, Hospiz oder die vielen anderen Spendenempfänger der Initiative: „Sie können jeden Euro brauchen.“ Deshalb verwahrt die Organisatorin die wertvollen Zahnfüllungen auch nicht in ihrer Praxis, sondern im Tresor einer Sparkasse. Immerhin erzielt ein Gramm reines Gold nach Angaben eines Händlers eines Konzerns, der namentlich nicht genannt werden möchte, inzwischen 23 Euro.
Dass auch bei der 13. zweijährigen Goldsammelaktion der Marburger knapp 80.000 Euro zusammenkamen, ist Sabine Friese zufolge nicht nur dem Einsatz aller beteiligten Praxis-Teams und der Patienten zu verdanken, sondern auch dem Konzern Heraeus in Hanau. Der habe einmal mehr auf die Kosten der Metallgewinnung in seiner Goldscheideanstalt verzichtet – immerhin hätte allein das Einschmelzen des Zahngoldes 1700 Euro gekostet.